Vom Wandel des Change-Managements und den neuen Herausforderungen für Führungskräfte – Interview mit der Organisationsberaterin Bärbel Hess

Inhalt: Warum die Zeit der großen Change-Projekte vorbei ist / Wie die Begriffe New Work, Agilität und Selbstorganisation den Druck auf Teams erhöhen / Inwiefern Führungskräfte umdenken müssen / Wie starre Organisationen in Bewegung kommen

Interview mit Bärbel Hess, Organisationsberaterin (Website Bärbel Hess / LinkedIn / Xing ).

© Jörg Baumann



Simon Stäuber: Herzlich willkommen, Bärbel! Womit beschäftigst du dich?


Bärbel Hess: Ich begleite Menschen, Teams und Organisationen auf ihrem Weg, immer mit dem Ziel, Weiterentwicklung zu ermöglichen.


Simon: Deine Firma heißt Bärbel Hess A’CCOMPANY – was bedeutet das “A’CCOMPANY” für dich?


Bärbel: Das war spannend, dieser Prozess, eine Firma zu gründen und dafür einen Namen zu finden. Das “A’CCOMPANY”, das so sperrig mit Apostroph geschrieben ist, ist eigentlich ein Wortspiel für mich, weil ich für mich lange auch ein Fragezeichen dahinter gesetzt habe. A company? Da tauchen ganz viele Fragen auf, zum Beispiel: Was ist eigentlich mein Produkt? Und diese Frage ist auch ein bisschen ein Augenzwinkern, weil ich immer noch in der Entwicklung bin, mein eigener Veränderungsprozess ist das. Also: Ich gehe immer noch sehr fragend durch die Welt. Gleichzeitig ist natürlich „accompany“, also begleiten, das, was ich tue. Ich habe ganz viele Fragen im Angebot und noch ein paar andere Methoden. Was ich als Beraterin ganz sicher nicht mitbringe, sind Antworten auf die Fragen der Unternehmen und Organisationen. Die entstehen im Prozess, in der Arbeit mit den Kunden. Deswegen passt für mich “begleiten” am allerbesten zu dem, was ich mache.


Die Zeit der großen Change-Projekte ist vorbei


Simon: Beim Stichwort Organisationsbegleitung und Beratung würde mich interessieren: Wenn du in einem Change-Prozess bist mit einer Organisation, gibt es da so einen typischen Moment, wo du weißt oder fühlst “Die Organisation wird das jetzt packen!”?


Bärbel: Ich merke, die Zeit der großen Change-Projekte ist vorbei bei den Kunden, mit denen ich arbeite. Vorbei in dem Sinne, dass Veränderung ständig passiert. Vor diesem Hintergrund und in einer neuen Qualität geht es um die ganzen klassischen Themen wie Ziele, Prozesse, Abläufe, Führung und Zusammenarbeit. Und weniger um die Frage “Wie funktioniert Change?” Die guten Momente sind die, in denen ich merke, dass bei den Menschen, den Entscheidern, die der Organisation eine Richtung geben können durch ihr Verhalten, Energie entsteht und Mut gefördert wird. Und wenn die Führungskräfte in Kontakt mit ihren Leute gehen.


Ich habe viel mit klassischen Organisationen zu tun, zum Beispiel Verwaltungen und Traditionsunternehmen. Da ist der Gestaltungsrahmen endlich. Aber der ist trotzdem immer gegeben, und mein Ziel ist, an diesem Gestaltungsrahmen zu arbeiten. Führungskräfte haben nach wie vor die Aufgabe, einen guten Rahmen zu schaffen für die Arbeit.


Die Begriffe New Work, Agilität und Selbstorganisation erhöhen den Druck auf Teams


Simon: Wie sehr üben die Themen New Work, Agilität und Selbstorganisation heute Druck und Stress auf Organisationen aus?

Bärbel: Eine Situation fällt mir ein, da hat mich das Team einer Stadtverwaltung groß angeguckt und erzählt: Da war eine große Reorganisation und ein Teil des ursprünglichen Teams ging woanders hin, und die müssen jetzt „New Work“ machen. Das hieß konkret: Sie haben neue Büroräume bekommen und sie hatten keinen Drucker mehr. Das Fazit war: „Die haben jetzt neue Möbel, und das sieht toll aus, ist aber total ungeschickt.“
Der beobachtete Druck ist insgesamt also eher: „Wir haben keine Leute, wir müssen liefern, die Technik funktioniert aber nicht.“


Es sind diese Engpässe, wo ich merke, da muss man dann ganz schön aufpassen, nicht mit Worten wie New Work, Agilität und Selbststeuerung noch mehr Druck hineinzubringen. Die Teams müssen handlungsfähig bleiben. Ich hüte mich also, zu sehr mit Überschriften zu arbeiten wie „Agilität“. Ich arbeite dann lieber mit Fragen wie zum Beispiel: „Was hilft durch den Tag, durch die Woche, wo gibt es Dinge, die laufen, wer macht die, wer versorgt die? Wo geht die Reise hin? Wo müssen wir uns um eine Problemlösung kümmern? Wie gestaltet man die Kommunikation in Richtung der Klienten oder Kunden?“ Wenn ich diese Fragen stellen, sind wir schon mitten drin im agilen Arbeiten. Und gleichzeitig auch mitten drin in dem, dass Menschen ein hohes Maß an Selbststeuerung und Selbstorganisation benötigen, unter anderem damit die Führungskräfte nicht zu Flaschenhälsen werden.


Umdenken für Führungskräfte erforderlich


Viele Führungskräfte verspüren Druck, weil sie ratlos sind. Die richtigen Instrumente fehlen ihnen und da merke ich: Am einfachsten geht es, Veränderungsprozesse zu begleiten mit Führungskräften, die sich klar sind, dass Führungskompetenz nicht vom Himmel fällt und dass sie davon lebt, dass man sich immer wieder neu auseinandersetzt mit der Frage „Was tue ich hier?“, dass man neue Methoden lernt und offen dafür ist, sich auch in anderen Feldern Inputs holen. Ich erlebe es so, dass ein Teil dieses Drucks selbst gemacht ist, da Führungskräfte manchmal die Idee haben, sie müssen immer Antworten liefern oder die Probleme lösen.


So kommen starre Organisationen in Bewegung


Simon: Hast du noch weitere Tipps aus der Praxis, wie man eine relativ starre Organisation in Bewegung bringen kann? Was sind die ersten Dinge, die du tust oder fragst?


Bärbel: Bewegung entsteht vor allem durch sinnstiftende Ziele oder Zielbilder - und Purpose. Das heißt: Wofür gibt es uns eigentlich oder wofür ist dieses Projekt oder dieser Workshop gut? Oder anders gefragt: Was würde fehlen, wenn es uns nicht gäbe? Das ist also meine erste Frage und auch letztendlich eine Methode, die ich jedem sehr empfehlen kann, um aus einer scheinbar aussichtslosen Situation oder Konstellation hinauszukommen. Meistens entsteht Bewegung auch, wenn man fragt: Wenn Sie den Job so tun könnten, wie Sie ihn gerne tun würden – woran würden Sie und andere das erkennen? So entstehen wirksame Zielbilder.


Über dieses Arbeiten am Zielbild kommen wir dann zum Dreiklang: Was funktioniert heute schon? Wo läuft es bereits in die richtige Richtung? Was braucht es darüber hinaus? Und dann: Was ist der nächste kleine Schritt? Dieses Vorangehen in kleinen Schritten ist die wichtigste Arbeit im Change und natürlich außerdem, dass die kleinen Schritte wirklich klein genug sein müssen. Das ist oft eine weitere Frage von mir: Sind die kleinen Schritte wirklich klein genug? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie diese Schritte gehen werden? Wie groß ist Ihre Zuversicht, dass Sie genau das tun werden auf der Skala von eins bis zehn? So kommen wir in einen Veränderungs-Dialog, und die Dinge kommen ins Laufen.


Simon: Vielen Dank für den wertvollen Input, Bärbel!

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